IV. VOM FUSS

Der eine Kardinalpunkt, um den es sich bisher handelte, ist immer die Taille gewesen. Der zweite Punkt, der bei der Frage der Körperverkrüppelung erörtert werden muss, betrifft den Fuss. Auch das wird späteren Geschlechtern kaum fassbar erscheinen, dass die feinkultivierte Menschheit unserer Tage in all ihrer Klugheit und allihrer Ueberlegenheit mitihrem gepriesenem Kunstverständnis vom König bis zum Bettelmann herab eine Fussbekleidung getragen hat, die die Schönheit eines jeden Fusses erbarmungslos zerstört.

Sagt man das aber heute laut, so erfolgt allgemeines Kopfschütteln. Der Grund dafür ist ein sehr einfacher. Man weiss nicht, wie ein hässlicher verkrüppelter, geschweige denn wie ein schöner und normaler Fuss aussieht, gesteht sich diese Unwissenheit aber auch nicht ein, sondern wird vor allen Dingen heftig und erregt, und behauptet dann in den Tag hinein alle möglichen haltlosen Dinge, um sich selbst zu rechtfertigen. Der Fuchs und die sauren Trauben. Schutzgedanken nennt man es in der Psychologie.

Schlagen wir zum Beweise denselben Weg ein, wie wir es beim Oberkörper gethan haben; befragen wir zunächst die Antike.

Abb, 119 zeigt einen schönen und frei entwickelten antiken Fuss. Die letztere Eigenschaft versteht sich eigentlich bei einem antiken Fuss ganz von selbst. Wenn wir an Antiken heute hie und da Füsse bemerken, die Spuren von Deformierung zeigen, so können wir sicher sein, dass sie Ergänzungen der Renaissancezeit sind.

Zur Feststellung des an diesem antiken Fusse Bemerkenswerten nehme man zunächst ein Lineal und lege es an die äussere, Kontur der Crosszehenseite. Man wird dann bemerken, dass Knöchel, Grosszehenballen und die grosse Zehe selber diese gerade Linie berühren, mithin dass die Innenseite eines schönen Fasses in ihrer Richtung eine gerade Linie bildet. Die grosse Zehe bildet genau die gradlinige Fortsetzung ihres eigenen Mittelfussknochens.

Zum zweiten wird man bemerken, dass zwischen der grossen und der zweiten Zehe ein ziemlich bedeutender Zwischenraum ist, jedenfalls, dass sie sich in keiner Weise berühren.

Ferner beobachte man die Richtung der sämtlichen Zehen, wie sie sich in ihrer Längsachse ausdrückt. Man wird bemerken, dass sie in der Weise nach vorn auseinanderspreizen, dass sie eine Fächerform bilden, deren Centrum innerhalb der Fussfläche liegt. Auch hier bilden die Zehen die gradlinige Fortsetzung ihrer Ivlittelfussknochen.

Betrachtet man endlich jede Zehe an sich, so sieht man, dass eine jede wohlgestaltet und rund ist und die feine Gliederung eines Fingers zeigt.

Dies wären die wichtigsten Punkte bei der Beobachtung des Fusses in seiner Aufsicht von oben.

Vergleiche man nun diese Beobachtungen mit der Form eines ebenfalls ganz normal entwickelten, in keiner Weise entstellten Fusses eines Lebenden von heute (Abb. 120). Man sieht, die Anatomie des Fusses hat sich nicht geändert.

Eine an der Grosszehenseite gezogene Linie zeigt dieselben drei Berührungspunkte, durch die die Richtung der inneren Kontur des Fusses eine gerade wird. Die grosse Zehe bildet die gradlinige Fortsetzung ihres eigenen Mittelfussknochens. Zwischen grosser und zweiter Zehe zeigt sich ein beträchtlicher Zwischenraum, eine Berührung beider findet in keiner Weise statt.

Die divergierende Richtung der Zehenlängsachsen ist ebenfalls zu beobachten, tritt nur hier etwas weniger zu Tage, weil der Fuss länger und schmaler als das antike Beispiel ist. Die Zehen liegen wieder in der Richtung ihrer Mittelfussknochen.


Abb. 119

Abb. 120

Auch die Entwickelung der einzelnen Zehen zeigt keine Deformierung und jede hat ihre natürliche Rundung.

Betrachtet man nun daraufhin einen Fuss, wie er wohl als der bessere Durchschnitt der heutigen Menschheit gelten kann, wie ihn etwa Abb. 121 darstellt, so bemerkt man folgende Abweichungen.


Abb. 121

Die grosse Zehe weicht von der durch Knöchel und Grosszehballen gezogenen geraden Linie ganz erheblich ab. Sie ist nach der ,Mitte des Fusses zu gedrängt, und ihre Längsachse bildet einen Winkel mit ihrem Mittelfussknochen.

Dadurch fällt der Zwischenraum zwischen grosser und zweiter Zehe fort, und die beiden Zehen pressen sich gegen einander.

Sämtliche Zehen bilden durchaus keine Fächerform mehr, sondern sie laufen in ihren Längsachsen parallel; ja, es will fast scheinen, als ob diese Längsachsen sich so zusammendrängten, dass ihre Schnittpunkte vor dem Fusse lägen.

Die einzelnen Zehen haben in keiner Weise ihre gerade und runde Form bewahrt, sondern sie sind krallenförmig zusammengedrückt, und durch das enge Aneinanderpressen haben sie ihre runde Form verloren und sind vierkantig geworden.

Es ist augenscheinlich, dass der Fuss. nicht von selbst so gewachsen, sondern dass er gevnaltsam in eine Spitze zusammengepresst ist.

Dass diese Form eine schönere oder zweckmässigere sei, als die auf Fig. 120, wird so leicht niemand behaupten.


Abb. 122

Abb. 122 zeigt Photographien von Stiefeln, wie sie durchaus als üblich, ohne besondere Ueber-treibungen, deren Unsinn ja jeder missbilligt, gelten können. In Abb. 123 ist die ausgezogene Linie die Grundform eines solchen Stiefels: Ziehen wir von der Mitte des Absatzes nach der Spitze des Stiefels eine gerade Linie m. Sie zerlegt ihn beinahe genau in zwei symmetrische Hälften: die Ausbauchung nach innen ist genau so gross, wie die nach aussen. Die Konturen der Spitze bilden mit der Achse die gleich spitzen Winkel a und ß.

In Abbildung, 124 ist um den normalen Fuss herum eine Linie gezogen, die ihn genau umschreibt, ohne in die Form einzuschneiden. Daneben die gefundene Linie ohne Fuss, Abb. 125. Setzt man nun diese in die Umrissform des üblichen Stiefel, wie es in der punktierten Linie auf Abb. 123 geschehen ist, so wird man sich schon durch den blossen Augenschein davon überzeugenkönnen, dass sich hier zwei gänzlich verschiedene Grundflächen gegenüber stehen. Zieht man in dem Schema des guten Fusses (Abb: 125) die Grosszehenachse g und trägt diese Linie in das Schema des gewöhnlichen Stiefels hinein (g), so sieht man, dass die grosse Zehe ausserhalb des Stiefelumrisses ins Leere stösst, d. h. sie thäte es, wenn sie stärker wäre wie Rindsleder. Sie ist aber, nicht stärker, darum wird sie von ihrer geraden Achse abgebogen, und in die Richtung g' gedrängt, und es kommt die Fussform heraus, wie sie Abb. 121 zeigt.











Abb. 123

Abb. 124

Abb. 125

Bei dieser Abbiegung aus ihrer geraden Achse heraus ver- schieben sich die Gelenkflächen gegeneinander, wie Abb. 126a zeigt. Mit der Zeit wird diese Lagerung eine constante, da sich die Knochen demgemäss umformen. Dadurch büsst die grosse Zehe an stützender Kraft beim Gehen ein, die Sehnen sämtlicher Muskeln werden aus ihrer natürlichen gradlinigen Zugrichtung abgebeugt und der Grosszehenballen, der sonst innerhalb der geraden Richtung der Konturlinie bliebe, wird herausgedrängt, was den Fuss ganz besonders hässlich macht und den Stiefel an jener Stelle in der häufig zu sehenden Weise ausbaucht, indem der Zehballen sich beim Aufsetzen des Fusses seitlich herausdrückt. Denn infolge der falschen Stellung der beiden Knochen zu einander, setzt sich die nach vorne drängende Kraft des ganzen Fusses (hinter der die ganze Schwere des Körpers steht) in eine seitlich gegen die Wand des Stiefels gerichtete um.

Jetzt machen wir den umgekehrten Versuch und legen die Mittelachse m des üblichen Stiefels in den normalen Fuss hinein (Abb, 130). Man erkennt sofort, dass sie ihn durchaus nicht in zwei symmetrische Teile teilt. Im Gegenteil bildet sie mit der linken Linie der Kontur einen Winkel von mehr als 90° (a1), mit der rechten Linie einen spitzen Winkel ß1.

Wer irgend im Stande ist, diesem Gedankengang zu folgen (und er ist nicht so schwierig), muss zu dem Schluss kommen, dass ein normaler Fuss entweder in die Form des heut üblichen Stiefels überhaupt nicht hineinkommt, oder dass diese ihn stark verändert. Jetzt wird der Fuss auf Abb. 121 mit seinen Verkrüp lungen klar w erden: die grosse Zehe muss ja gegen die ande Zehen zugedrängt werden, damit die Mittelspitze herauskom alle Zehen müssen ja aneinander, ja übereinander gelegt werd um irgendwie in der Spitze Platz zu finden.

Das giebt ja natürlich keiner zu, wenn auch sein eigener Fuss es zur Evidenz bewiese, dass die Zehen in diese Spitze hineingepresst wären, und Männlein wie Weiblein behaupten, diesmal wenigstens einmütig: „Mein Stiefel ist ganz weit'' oder „drückt garnicht'', und sie lassen einen vielleicht sogar die Spitze des Stiefels anfassen um zu zeigen, dass diese leer sei. Natürlich gilt das nur von dem vordersten Spitzchen. Die häufige Erklärung der Schuhhändler, dass diese Spitze ja nur vorn angesetzter Zierrat sei, ist eine dumme Redensart. Man stelle sich einmal vor, wie enorm ein Stiefel würde, wenn an die gesunde Fussform eine seitliche Spitze f oder gar eine Mittelspitze fI angesetzt würde, wie auf Abbildung 131 angedeutet ist. Es ergäbe einen Stiefel, gegen den ein mittelalterlicher Schnabelschuh ein Kinderspiel wäre, denn die Abbiegung der Mitte zu könnte ja erst dort beginnen, wo die grosse Zehe zu Ende ist. Und die Frage, welcher Vorteil damit verbunden sei, den Stiefel durchaus in eine Spitze endigen lassen zu können, bleibt mir damit immer noch unbeantwortet.

Mit der Behauptung, der Stiefel drücke nicht, ist noch lange nicht der Nachweis verknüpft, Fuss und Stiefel seien, wie sie sein müssen. Ueber einen bereits verkrüppelten Fuss kann man natürlich einen schlechten Stiefel ziehen, der nun nicht mehr drückt: er hat sein Werk gethan.

Bis jetzt haben wir nur von der Grundfläche des Fusses gehandelt und dabei gesehen, wie die gesamte Menschheit im Verein mit ihren Schuhmachern nicht einmal die planimetrische Figur der Sohle des Fusses finden konnte. Wie viel weniger die plastische Vorstellung des gesamten Fussgebäudes. Ein hoher Spann gilt bei uns als schön. Aber wie armselig wieder unsere landläufige Vorstellung von ihm. Wie viele Schuster machen immer noch daraus einen Dachfirst, der, in der Mitte am höchsten, nach beiden Seiten gleichmässig abfällt.


Abb. 126

Man betrachte die Abb. 127-129, um zu sehen, wie wenig das die Natur beabsichtigt. Die Wölbung unter dem Spann des Fusses ist keine symmetrische. Die Mittelfussknochen und die Fusswurzelknochen auf der Kleinzehenseite (Abb, 128) bilden einen flacheren, die auf der Grosszehenseite (Abb. 127) einen höheren Bogen. Geht der Stiefel dieser Form nicht nach und legt die Höhe auf die Mitte, so wird die innen (Grosszehenseite) liegende Höhe gedrückt, die starken Bänder, die den Fuss in dieser federnden Stellung erhalten, werden gedehnt, der Spann wird niedriger, der Fuss zum Plattfuss. Aus der hier zur Genüge nachgewiesenen Assymmetrie der inneren -und der äusseren Fusshälfte geht ohne weiteres hervor, dass man den rechten Stiefel so wenig auf den linken anziehen kann, wie den rechten Handschuh auf die linke Hand. Stiefel, die darauf zugeschnitten sind, -- und es giebt solche -- sind grober Unfug, der bestraft werden sollte.

Abb. 130 Abb. 131

Ein dritter; allerdings nur noch beim Schuhwerk der Frau zu findender Fehler ist der hohe Absatz. Sein zweifellos erster Zweck war es, die Figur zu erhöhen. Ob es schön ist, sich grösser zu machen, als man ist, lasse man vorläufig dahingestellt. Es existiert die Behauptung, dass der Körper mit dem Absatz eine bessere Haltung einnähme. Richtig ist, dass der Körper auf den Fussspitzen ruhend, eine straffere Haltung einnehmen muss; unrichtig, dass der Fuss im Schuh mit hohen Hacken auf den Fussspitzen ruhe. Er steht genau so auf der ganzen Sohle, der ganze Unterschied besteht darin, dass er statt auf einer flachen auf einer schiefen Ebene steht. Das beständige nach vorne Gleiten wird nur dadurch verhindert, dass die Zehen sich ganz hart an die Vorderwand des Stiefels heranpressen. Hat der Stiefel keine vordere Wand, sondern eine Spitze, so ist das Resultat die gänzliche Verkrümmung der Zehen. Die stetige Strecklage, in der sich dabei der Fuss gegen den Unterschenkel befindet, ist eine ermüdende, und nebenbei wird der Gang in hohen Hacken ein unsicherer und ungraziöser. Ein Trippeln kann nur von dem als anmutig empfunden werden, .der sich jeder natürlichen Schönheit entfremdet hat.

Aber nun rede man einmal mit einem sonst ganz vernünftigen Menschen über diese Fragen. Wenn er nicht ohne weiteres heftig erregt wird und das Gespräch abbricht, so wird er zunächst behaupten: der Fuss sei ja von der Natur so gestaltet, er habe seine Spitze in der Mitte und der Spann sei am höchsten auf der Mitte und er könne das beweisen mit seinem eigenen Fusse, der gradeso aussähe. Hat man ihm dann auf Ehrenwort versichert: er irre sich, der Fuss sei von der Natur anders gewollt und müsse so und so aussehen, so sagt er ganz sicher: ob denn das so etwas Notwendiges, etwas so Wichtiges sei. Es sei doch ganz gleich, ob die Zehe grad oder krumm sei. Ja -- es ist schliesslich auch nicht wichtig, ob das Bein krumm oder grad, ob der Rücken oder die Nase grad oder schief ist. Für unsere Existenz ist es wichtiger, dass wir essen und atmen und nicht stehlen.

Doch sollte man mir zunächst die Frage beantworten: ist es denn so wichtig, dass wir falsche Fussbekleidung tragen? Welchen enormen Vorteil bietet uns denn eine Fussbekleidung, die mit vielen Schmerzen und Mühen den Fuss erst so weit ändert, bis er glücklich seiner Schönheit beraubt ist? Handelt es sich allein um die Frage, dass man kein richtiges Schuhwerk bekommen kann? gesetzt den Fall, wir bekämen ein solches ohne weiteres zu kaufen - wäre es dann nicht viel einfacher, die richtige, ästhetische und nicht Schmerzen verursachende zu wählen?

Es ist allerdings eine Thatsache, dass man für einen normal gebliebenen Fuss in sämtlichen Stiefel-Magazinen Deutschlands nicht einen Stiefel zu bekommen vermag, in den er hineinschlüpfen kann, und dass auch der Schuhmacher sich ungern dazu versteht, einen Stiefel anzufertigen, zu dem er einen Leisten von einer bisher gar nicht gekannten Form extra anfertigen lassen müsste, und auch bei gutem Willen ratlos ist, wie dieser Leisten denn nun eigentlich aussehen soll.

Aber, wer bestimmt denn das Angebot? Die Nachfrage. Wäre denn die richtige Form schwerer zu machen, wie die falsche, wenn der Verfertiger eine richtige Vorstellung von der fussform hätte? Oder würde sie teurer werden? Sind denn die Menschen wirklich so denkfaul, dass sie sich nicht die simple Vorstellung bilden können: der Fuss bildet innen eine Gerade und aussen eine Kurve. Warum läuft das in ihrer Vorstellung nur immer wieder zusammen in zwei Kurven, die vorn in eine Spitze endigen ? Sind sie denn so phlegmatisch, dass sie nicht mal aber ihren 'Schuster Herr werden, ihm nicht bestimmen können, was sie 'wollen ?Und gesetzt den Fall, ihre Füsse sind durch Schuld ihrer Eltern hoffnungslos verdorben -- wollen sie denn dieselbe Schuld gegen ihre Kinder auf sich nehmen?

Fragt man recht aufs Gewissen, warum sie sich so auf die falsche Stiefelform versteifen, so wird man zur Antwort bekommen: man könne ihnen doch nicht im Ernst zumuten, dass sie mit solchen Stiefeln, wie ich sie beschriebe, herumliefen. Man mache sich ja gesellschaftlich unmöglich. Gesellschaftlich unmöglich, wenn man die natürliche und doch so schöne Form eines Fusses eingesteht!

Denkt man denn gar nicht nach, sondern beruhigt sich bei dem: das muss doch der Schuhmacher am besten wissen? Diese Schuhmacher, die seit 1000 Jahren diese unsinnige Tradition unserer Schuhform kritiklos weitergeben, ja im 19. Jahrhundert den Gipfel aller Sinnlosigkeit in der Form unserer Fabriksstiefel erreicht haben - die sollen uns Gesetzgeber und Berater sein für das Schönheits ideal, das sich im Menschen ausdrücken will? Oder, wenn man ein übriges thun will, so frägt man den Arzt, wie ein Schuh aussehen müsste! Als ob die Ausübung des medizinischen Berufes die Fähigkeit erzeugte, das Schönheitsideal' des menschlichen Körpers zu erkennen und . in praktische Gebrauchsformen umzusetzen. Sie tragen ja samt ihren Frauen und Töchtern, Kindern und Kindeskindern selber falsches Schuhwerk. Ich habe in heftigen Disputen mit Aerzten als einzige Norm von ihnen herausbekommen können, es genüge, wenn die Zehen sich im Schuh bewegen könnten: Den hier angebrochenen Fragen steht das Gros derselben genau so fern wie das Gras der Künstler oder der übrigen Menschheit und ihre Behandlung derselben ist eine genau so dilettantische, wie die der -- Schuster! Sie vvürden gegen eine Verunstaltung, die ohne Schmerz oder Krankheit vor sich gehen könnte, gar nichts einzuwenden haben.

Es handelt sich nicht darum, dass ein jeder sich eine genaue anatomisch-wissenschaftliche Vorstellung vom Knochen-, Sehnen- und Muskelbau des Fusses erwirbt. Die Erfahrung beweist, dass Kapazitäten der Anatomie in sonst ausgezeichneten Lehrbüchern den Abbildungen einen verdorbenen Fuss zu Grunde legen, ohne es anscheinend überhaupt zu merken, ja wohl gar die Unterschrift „normaler Fuss'' darunter setzen. Was not thut, sind nicht Kenntnisse, sondern der Wille zum gesunden und schönen Leib.

Der wahrhaft ethische Mensch verkrüppelt sich selbst nicht. Er erwirbt 'sich das Gefühl für die richtige Form seines Körpers bei der Pflege, die er ihm angedeihen lässt, und er beachtet es so fort, wenn an einem Teile seines Körpers eine Misshandlung vor sich gehen soll. Welche angestrengte Arbeit von Jahren bedarf es, ehe die falsche Fussbekleidung die Knochen umgeformt hat, und wieviel Notschreie und Warnungssignale lässt vorher die Natur ergehen. Wieviel Brennen der Haut, gerötete Stellen; Verhärten der Haut und schliesslich ganze Hornhautbüdungen, wieviel Zerfasern der Haut zwischen den Zehen durch Aneinanderdrücken derselben, wieviel Verkrümmen und Einwachsen der Nägel muss der Mensch gleichgültig an sich haben vorübergehen lassen, ehe die organisch gewordene Veränderung eintritt, wie wir sie als Typus des modernen lebenden Fusses kennen. Man mache sich doch nur einmal klar, dass Hautverhärtungen doch nichts anderes als Schutzmittel der Natur gegen Vergewaltigung sind. Sie will eben die darunter liegenden Teile durch eine stärkere Schutzdecke vor den Angriffen von aussen schütien. Und doch ist es heut so weit gekommen, dass die indolente und denkfaüle Menschheit Hühneraugen gleichsam als einen notwendigen Körperteil am Fusse betrachtet und an die Möglichkeit eines Fusses ohne solche gar nicht mehr glauben will. Niemand schämt sich, die hier wie mit sichtbarer Schrift am Fusse niedergelegten Dokumente zu tragen, an denen man die am Körper begangenem Vergewaltigungen ablesen kann.

Die Natur, ist von einer unglaublichen Zähigkeit in der Behauptung der von ihr gewollten Formen. Generation auf Generation können die Eltern ihre Füsse schamlos verkrüppeln und immer wieder springt die Natur geduldig beim Kinde in die Form zurück, die sie nun einmal als die zweckmässigste (= die schönste) erkannt hat. Es ist rund herausgesagt eine Fälschung, wenn die Leute behaupten, ihr Fuss sei von der Geburt an so gewesen. Gewiss können Verkrüppelungen wie an jedem Teil des Körpers, so auch an den Füssen von Geburt vorhanden sein: Aber dann sind es eben nicht die als spezifisch vom Schuhwerk herrührend gekennzeichneten.

Wir wissen doch, welchen sprechenden Ausdruck Hände haben können. Wie empfindlich ist der feiner Kultivierte gegen eine hässliche Hand geworden. Viele Leute sind durch die Erfahrung, dass ihre eigenen Füsse und die anderen, die sie sonst noch sehen, durch Entstellung in der That erstaunlich hässlich sind, zu der Meinung gelangt, der menschliche Fuss sei überhaupt etwas sehr hässliches und von der Natur so gewollt. Sie wissen nicht, dass der frei entwickelte und gepflegte Fuss genau dieselbe edle Formensprache reden kann, wie die Hand.

Man denke sich nur, eine elegante, zarte, im Luxus schwelgende schöne Frau, die soeben noch mit den Spitzchen ihrer winzig. kleinen Lack-Stiefel kokettiert hat, käme in dem Moment in die Notwendigkeit, den Fuss nackt zu zeigen, wie er im Stiefel steckt. Sie fühlt sich sicher in dem Gedanken, dass das nicht vorkommt. Aber wisst Ihr denn nicht, dass ein einigermassen denkendes Auge durch den Stiefel hindurchsieht und an der Hülle erkennt, dass der Fuss darin hässlich entstellt sein muss und darum auch die Umschreibung, die diese Entstellung hervorbringt, als hässlich empfindet. Haftet denn die Eitelkeit der Frau so sehr an der Oberfläche? Begnügt sie sich denn immer nur damit, den Dummen zu täuschen? Hat denn die Frau das körperliclie Gefühl ihrer Nervenenden, auf denen sie die Blicke der Aussenwelt ruhen fühlt, auf das Kalbleder ihrer Stiefel übertragen?

Es hat auch schon Menschen gegeben, welche behauptet haben, der Fuss der Frau sei anatomisch anders als der des Mannes und vertrüge durch seine Weichheit grössere Einzwän- gungen. Wie er sie erträgt, das sehe man sich selbst an den lebenden weiblichen Füssen an.

Zu kämpfen hat man natürlich mit der grässlichen Angst der Frau durch eine natürliche Schuhform einen „plumpen'' Fuss zu bekommen, und mit der Vorstellung, dass es durchaus der Hilfe des Schuhmachers bedürfe, um das Meisterstück Gottes zu verbessern. Die falsche Schuhform würde von dem Moment an von selbst aufhören, von dem an man eine genaue Vorstellung von der überwältigenden Schönheit erhielte, die ein gesunder Fuss haben kann.

Sofort würde das Bestreben eintreten, auch in der Umschreibung, der Bekleidung, zu verraten, dass man einen wohlgeformten Fuss besitzt. Ist nicht die in unserer jetzigen Schuhform ausgedrückte Vorstellung von der Schönheit des Fusses entsetzlich armselig und gering, indem sie sich darauf beschränkt, anzudeuten, dass man einen kleinen Fuss besitzt?

Und selbst dieses letzte ist nichts als eine neue Dummheit. Denn nirgends in der Welt der Schönheit kommt es auf absolute Grössen an, sondern nur auf Proportionen. Ein zu kleiner Fuss ist genau so unschön wie ein zu grosser Fuss. Wünschen wir uns doch auch nicht eine möglichst kleine Nase, sondern harmonisches Grössenverhältnis aller Teile.


Abb. 132

Wieder wie bei der Frauenkleidung gebe ich den Weg an, wie man die richtige Schuhform finden kann. Umziehe man die Umrisse des normalen Fusses mit einer Linie, die nirgends in ihn einschneidet (siehe Abb, 124). Zeichne man auf diese Linie die Umrisslinie eines Schuhes, indem man vorn den kleinen Hohlraum ansetzt, der notwendig ist, damit die Zehen nicht beim Gehen an die Vorderwand angestossen werden (Abb. 130). Das Vorrutschen des Fusses in diesen kleinen Raum verhindert ja das Oberleder. Abb. 132 stellt einen solchen Stiefel dar, bei dem der kleine vordere Hohlraum eckig gestaltet ist. Natürlich lässt sich beim ausgeführten Schuh die vordere Sohlenlinie a b (Abb. 130) auch anders gestalten, solange sie sich zur Gestaltung des Hohlraums x von der Berührung der Zehen fernhält. Sie liesse sich also auch, wenn man es vorzieht, in der Richtung der punktierten Linie c machen. Es kommt gar nicht darauf an, ob die Gestaltung dieses kleinen vorderen Hohlraums mehr breit, schräg, stumpf oder rund ist, sondern darauf, dass durch die Gradführung der inneren Linie die grosse Zehe in ihrer geraden Lage Platz findet, ohne nach der Kleinzehenseite abgedrängt zu werden.


Abb. 133

Ich habe oft Leute getroffen, die annahmen, richtige Schuhformen gefunden zu haben, weil sie den Stiefel vorn breit machten, ohne damit etwas besser zu machen, weil sie die Hauptsache gar nicht verstanden hatten. Die ausgezogene Linie f auf Abb. 133 stellt den Grundriss eines solchen Stiefels dar, der vorn sehr breit, ja sogar eckig und dabei doch ganz falsch ist. Die punktierte Linie u bezeichnet die Umrisslinie eines normalen Fusses, g die Richtung seiner Grosszehen-Achse, g' die Abbiegung, die die grosse Zehe in dem Stiefel erfahren muss.